Nenn mir dein Hobby, und ich sage dir, wer du bist
Die HKB-Zeitung lud zum runden Tisch. Gisela Feuz, Radioredaktorin, Punksängerin und Lehrbeauftragte HKB, Simon Küffer, Doktorand HKB und Rapper, sowie Myriam Schleiss, Leiterin des Diensts Kulturelle Teilhabe im Bundesamt für Kultur, sprechen über ihre Hobbys, Laienkultur und Hochschulausbildung.
Leiter Kommunikation und Publikationen HKB und Mitglied der Kulturkommission Biel.
Es ist die Frage aller Fragen, um jemanden kennenzulernen oder zu verstehen: Was ist eigentlich dein Hobby?
Myriam Schleiss: Ich schätze mich glücklich, denn Kultur ist zugleich mein Hobby und mein Beruf. Im Hobby bin ich kreativ tätig: Ich spiele Theater, mache Regie und nähe Kostüme. Zurzeit bin ich in drei Laientheatergruppen aktiv. Beruflich bin ich in der Kulturförderung tätig: In meiner Tätigkeit beim Bundesamt für Kultur begleite und unterstütze ich Projekte und Strukturen der Laienkultur, der musikalischen Bildung und des immateriellen Kulturerbes. So sehe ich tagtäglich beide Seiten der Kulturförderung. Auf dem Weg hierher habe ich mir überlegt, wie viele Stunden pro Woche ich für mein Hobby aufwende, und bin zum Schluss gekommen, dass es bis zu zehn Stunden sein können.
Gisela Feuz: Auch ich habe sehr viel mit Kultur zu tun. Ich arbeite beim Radio, bei SRF 2 und 3. in meiner Freizeit mache ich Musik, besuche viele Konzerte und lese viel. Ich habe das grosse Glück, dass mein Hobby mich auch im Beruf beschäftigt, der Übergang ist oft fliessend. Wenn ich eine Ausstellung bespreche, besuche ich diese Ausstellung, was ich vielleicht auch in meiner Freizeit tun würde. Februar bis Juli unterrichte ich jeweils einen Tag pro Woche. Ich habe den Eindruck, dass junge Erwachsene heute weniger Hobbys haben als früher. Oder vielleicht sind es andere Hobbys wie zum Beispiel Shoppen, was in meinen Augen kein Hobby ist.
MS: Statistisch gesehen nehmen Freizeitaktivitäten eher zu. Das Bundesamt für Statistik benutzt übrigens den breiten Begriff von Freizeitaktivitäten. Die am meisten verbreitete Aktivität ist, sich mit Freunden zu treffen.
Simon Küffer: Die Frage habe ich befürchtet. Ich behaupte, ich habe keine Hobbys, und meine Freundin würde behaupten, ich hätte nur Hobbys. Nach strengen Kriterien wären Filme mein Hobby – und dann hört es schon auf. Ein Hobby ist etwas, für das man keine professionellen Ambitionen hat oder Druck verspürt. Wenn man ein Hobby zum Beruf machen kann, schleichen sich professioneller Ehrgeiz oder Verpflichtungen ein. Deshalb sind viele Sachen, die ich vor 20 Jahren als Hobbys bezeichnet hätte, heute nicht mehr meine Hobbys. Das hat eine tolle, aber auch eine traurige Seite.
Das Musikschaffen macht traurig?
SK: Rappen ist ein Scheiss. Man macht Musik und gleichzeitig Literatur, und dann ist da auch noch eine politische Haltung dahinter. So lese ich nicht mehr ganz entspannt einen Roman oder die Zeitung, ich höre nicht mehr ganz entspannt Musik, es schleicht sich überall auch ein professionelles Interesse ein. Filme schauen oder ganz selten Playstation spielen ist etwas, was ich gern mache, weil kein berufliches Interesse hineinspielt. Das mache ich aus purem Genuss und es entspannt mich auch viel mehr als das andere.
GF: Ich kann das gut nachvollziehen, dass man Dinge nicht mehr auf sich wirken lassen kann, sondern nur noch auf der analytischen Ebene unterwegs ist. Du sagst, bei einem Hobby habe man keine professionellen Ambitionen. Aber auf meinen Vater trifft das nicht zu – der baut seit Jahrzehnten aus Holz historische Eisenbahnen nach. Er hat einen riesigen Bastelraum, bestellt sich originale Baupläne und baut sehr exakt und originalgetreu. Er hat explizite Ambitionen, obwohl der Modellbahnbau klar sein Hobby ist.
SK: Ich spreche von einer Ambition, die einen nicht existenziell beschäftigen darf. Hier spielt die Erwerbsfrage eine wichtige Rolle. Wenn ich einen Roman lese, verdiene ich dabei kein Geld, aber es geht darum, dass ich das immer noch sehr gern mache und es sehr geniessen kann, ich aber auch merke, dass ich stärker auf die Sprache achte und auf das, was da passiert, weil es immer etwas damit zu tun hat, was ich tue.
MS: Hobby ist etwas, was man freiwillig wählt, was beim Beruf nicht immer der Fall ist. Zu einem Hobby zwingt einen niemand und wenn man es nicht mehr machen will, hört man damit auf. In meinen Theatervereinen ist dies ein zentraler Punkt: Da gibt es Leute, die sich mit viel Ehrgeiz und Ambitionen einsetzen, sich 20 Jahre lang wirklich mit sehr viel Leidenschaft engagieren und dann plötzlich sagen, ich kann das nicht mehr, es braucht zu viel Zeit, ich habe keine Freude mehr daran. Dann muss man aufhören, denn dann ist es kein Hobby mehr.
SK: Würde ich mit dem Rappen aufhören, müsste ich mir teilweise einen anderen Lebenserwerb suchen.
Euren Aussagen entnehme ich eine Aufwertung des Hobbys und eine Abgrenzung gegenüber der déformation professionelle. In einer professionellen künstlerischen Tätigkeit muss man auch übernehmen, was aus eigener Leidenschaft heraus gar nicht erwünscht ist.
SK: Freiwilligkeit scheint mir wichtiger als Leidenschaft. Wir hier haben offenbar das Glück, dass wir etwas machen, was wir sehr gern machen. Aber ich befürchte, dass Leidenschaft sich in die Berufswelt schleicht, um eine Form von Selbstausbeutung zu legitimieren. Dass man seinen Beruf sehr gern macht, gehört für viele Leute zum Selbstverständnis. Ich nehme mich da nicht aus. Aber es wäre falsch, das mit einem Hobby zu verwechseln. Darum bin ich unbedingt für die Aufwertung von Hobby.
Hobby ist freiwillig und nicht existenziell, aber trotzdem scheint es für die Identität der gegenwärtigen Menschen ein absolut zentraler Teil zu sein. Also definiert man sich über ein Hobby oder definiert man sich über den Job?
MS: Aus meiner Sicht ist der soziale Kontakt ein wichtiges Merkmal von Hobbys. Viele Menschen haben ein Hobby, weil sie dadurch in Kontakt mit anderen Menschen kommen, die das gleiche Hobby haben, und sich somit eine Gesprächsbasis bietet und sich Freundschaften entwickeln. Das hat man im Job meist weniger. Es ist sehr identitätsstiftend, wenn man über das Hobby in Gruppen kommt, in denen man sich zugehörig fühlt und seine eigene Identität weiterentwickelt, sich mit anderen austauscht, sich selber dabei reflektiert.
GF: Wir haben ganz viele verschiedene Identitäten, die Arbeitsidentität ist eine davon, die Hobbyidentität eine andere.
SK: Freiwilligkeit sagt mehr über eine Person aus. Es ist naiv anzunehmen, wir alle hätten frei gewählt, was wir zum Beruf machen. Erstens ist es bildungsabhängig, es ist fähigkeitsabhängig, es ist aber auch schlicht gesellschaftsabhängig. Wenn in einer Gesellschaft 90 Prozent Bauern sind, wirst du wahrscheinlich auch Bauer. Und bei uns in der Kunstwelt wird es nicht wahnsinnig viel anders sein. Was ein Mensch in der Freizeit macht, sagt fast mehr über diese Person aus als ihr Job.
MS: Ich nähe sehr gern, aber ich würde das nicht beruflich machen, weil ich weiss, wie schwierig es ist, sich mit Nähen sein Leben zu verdienen. Aber in einer idealen Welt wäre ich vielleicht Schneiderin geworden. Ich denke, das sagt schon viel aus über das, wie die Person in sich ist oder mit was sie sich beschäftigt.
Die Bedeutung von Hobbys sagt viel aus über unser Verständnis des Berufslebens. Man sollte nicht über Bauern sprechen, wenn sie nicht mit am Tisch sind. Aber für mich stellt sich die Frage: Haben Bauern Hobbys? Oder sind sie hobbylos?
MS: Der Begriff hobbylos hat mich auch beschäftigt. Gibt es Leute, die hobbylos sind? Ich habe lange im sozialen Bereich gearbeitet, insbesondere mit Asylsuchenden und Flüchtlingen. Deren Alltag ist so stark vom Überleben geprägt, dass sie tatsächlich wenig Zeit haben, über Hobbys oder Freizeit nachzudenken. Aber auch sie haben mir gesagt: Ich koche gern, ich singe gern. Ich denke, jede*r hat etwas, was er oder sie gern und freiwillig macht. Ob im Alltag dafür Zeit ist, mental und ressourcenmässig, ist eine andere Frage. Und: Ein Hobby kostet auch etwas. Ein Instrument kann sich nicht jede*r leisten.
Woher kommt die beleidigende Note beim Attribut hobbylos?
GF: Hobbylos heisst: Du bist ein uninspirierter Mensch, weisst mit dir nichts anzufangen, bist nicht interessant. Offenbar müssen wir unsere Freizeit mit Hobbys füllen, um als interessant und inspiriert zu gelten.
SK: Zum Hobby gehört auch eine Fähigkeit oder ein Wissen. Freunde treffen oder am Abend saufen gehen gilt nicht als ein Hobby, denn das macht jede*r. Freunde trifft hoffentlich jede*r. Dazu gehört nicht eine spezielle Fähigkeit. Hobbylos ist etwa ein Mensch, der dauernd schlecht über andere spricht, bei dem man denkt, dass er kein eigenes Leben habe.
Ohne Hobby kein Leben?
GF: Es ist doch das Tollste, wenn du mit Menschen sprichst, die begeistert sind von etwas. Das ist wahnsinnig ansteckend, selbst wenn dich das Thema eigentlich nicht interessiert. Das können Briefmarken oder irgendetwas sein. Menschen mit einer Passion sind faszinierend und auch sexy. Wenn mein Vater mir seine Eisenbahnen zeigt, ist das grossartig.
Ich möchte noch einmal auf euch persönlich zurückkommen. Wie wichtig ist dein Hobby für deine Identität auf einer Skala von 1 bis 10?
MS: Es macht meine Person aus, es gehört zu mir, daher 10.
GF: Mein Hobby ist nicht das Einzige, was mich ausmacht. Es ist eine Seite von vielen. Ich sage 7 auf der Skala. Wobei, beim Lesen bin ich näher bei 9.
MS: Hobbys verändern sich im Lauf des Lebens. Ich zum Beispiel war nach dem Studium 15 Jahre lang nicht mehr auf der Theaterbühne. Seit 2018 bin ich wieder dabei, und zwar sehr intensiv.
SK: Die Musik war ja mein eigentliches Hobby, und darum ist es auf der Skala eine 10.
Warum ist die Aussage «Das Hobby zum Beruf gemacht» so positiv besetzt?
GF: Ein Hobby ist selber gewählt und du wählst ja nicht etwas, was dir keinen Spass macht. Du wählst etwas, was du gern machst, und das dann den ganzen Tag machen zu können, klingt nach einer Traumvorstellung. Viele Leute arbeiten in Jobs, in denen sie etwas machen müssen, was sie nicht gern machen.
MS: Wenn das Hobby zum Beruf wird, ist es dann noch ein Hobby? Wäre ich beruflich als Schauspielerin unterwegs, dann würde ich sicher auch manchmal eine Rolle spielen müssen, die ich nicht gerne spiele – weil ich halt mein Leben damit verdienen müsste.
SK: «Das Hobby zum Beruf gemacht» bedeutet auch, dass man sich durchgesetzt hat: Du hast etwas gemacht, was du freiwillig machst und wofür du nur wenig Zeit aufwenden konntest. Du warst aber so gut, dass du in die professionelle Sphäre eingetreten bist, eine Art Qualitätsausweis.
Das Verhältnis von Hobby zu Kunst oder von Kunst zu Hobby: Das Kunstschaffen ist in den letzten Jahren stetig professionalisiert worden. Es gibt immer mehr Ausbildungen und immer mehr Ansprüche werden an das Kunstschaffen gestellt. Eine Ausbildung setzt Standards, die man dann in der Ausübung von Kunst erfüllt haben möchte. Wie seht ihr das Verhältnis zwischen Hobbykultur und professionellem Kunstschaffen?
MS: Bundesrat Berset hat 2022 am Filmfestival in Locarno gesagt: «Ohne Laien keine Profis.» Ich verstehe Laienkultur als eine Art Nährboden für professionelles Kulturschaffen. Viele beginnen irgendwo in einem Orchester, als Laie in der Blasmusik im Dorf, und entscheiden später, aus diesem Hobby einen Beruf zu machen. Ich kenne auch Berufssänger*innen, die heute einen anderen Job haben, und dennoch weiterhin als Laien in einem Chor singen. Darum sehe ich fliessende Übergänge zwischen der Laienkultur und dem professionellem Kulturschaffen.
Wie sind die Übergänge und Abgrenzungen in der Ausbildung?
GF: In der akademischen Ausbildung sehe ich einen Widerspruch: Man bekommt intensiv Theorie vermittelt, soll sich aber am Schluss wieder davon lösen und einen eigenen kreativen Ausdruck finden. Wenn du diese Theorie gar nicht erst kennst, kommst du dann nicht eher zu einem eigenen kreativen Ausdruck?
Dilettantismus?
GF: Das Dilettantische kann eine enorme Qualität haben. Ich finde, beides sollte möglich sein, und ich wünsche mir mehr Überschneidungen zwischen Professionalität und Dilettantismus. Der institutionalisierte Kunstbetrieb ist ein recht abgeschlossener Kosmos.
Fördern Akademisierung und Professionalisierung in der Kunstausbildung Distinktionen und soziale Abgrenzungen?
MS: An der Hochschule Luzern gibt es seit 2018 einen Ausbildungsgang für Jodel. Wenn das aber heissen würde, dass nur jodeln darf oder kann, wer diese Ausbildung absolviert hat, würde das Brauchtum des Jodels, welches zum Schweizer Kulturerbe gehört, de facto verschwinden.
SK (lacht): Ich möchte hier festhalten, wenn es an der HKB eine Professur für Rap gibt, möchte ich diese haben. Ich bin der Allererste, der infrage kommt.
MS: Im Bundesamt für Kultur freuen wir uns über die Entwicklung von neuen Ausbildungsgängen in den unterschiedlichen Kultursparten. Für die Vermittlung von Wissen und Praktiken sind sie eine wertvolle Massnahme, auch wenn es nicht dazu führen darf, dass damit eine Standardisierung einer Kunstsparte einhergeht.
SK: Wir dürfen den ökonomischen Kontext nicht vergessen. Die Professionalisierung des Kunstschaffens hat mit der Zunahme an kreativer Arbeit zu tun. Ich habe lange in einem Grafikatelier gearbeitet. Wenn jedes kleine KMU pro Woche vier animierte Instagram-Storys will, beansprucht das 50 Stunden kreative Arbeit. Das kumuliert sich unglaublich. Nur schon auf Netflix findet man wöchentlich 30 neue Serien – eine jenseitige ästhetische Produktion. Die Leute kommen abends müde nach Hause, schauen fünf Stunden Netflix, den ganzen Tag irgendwelche Storys, Posts etc. Es braucht also viel ästhetische Arbeit, sie muss billiger werden, sie muss ausgebildet werden. In der Schweiz wird niemand reich mit Rap, und doch gibt es eine sehr lukrative Industrie darum herum. Viel kreative Arbeit funktioniert weiterhin wie eine Castingshow, eigentlich ein perverses Prinzip. Du lässt den ganzen Mob per Karaoke sich selber ausbilden, pickst dir die Besten heraus und machst mit denen stupides Geld. Und über die Schlechten kannst du dich lustig machen und dort auch noch Geld herausziehen.
GF: Wir diskutieren nun im populärkulturellen Bereich, das ist nicht gerade das, was an der HKB ausgebildet wird. Populärkultur ist zugänglich. Beim Rap gibt es die street credibility, im Punk die do-it-yourself attitude: bezeichnende Haltungen für das, was du machst und wofür du stehen willst. Das lernst du nicht an der Uni.
Die Unterscheidung zwischen Hochkultur und Populärkultur oder zwischen Kunst und Laienkultur ist fliessend geworden. Hochschulen haben es zwar im Namen, aber wer heute klassische Musik studiert, spielt mit grosser Selbstverständlichkeit auch Populärmusik. Das ist heute sehr verschränkter als vielleicht vor 10 oder 20 Jahren.
GF: Trotzdem haftet den Hochschulen nach wie vor dieses Image an.
Das hat auch seine Gründe. Kunsthochschulen, welche eine professionelle Ausbildung bieten, fordern Exzellenz ein. Das führt zwangsläufig zu einer elitären Situation.
GF: Wer hat die Deutungshoheit, zu definieren, was Exzellenz ist?
MS: Den Anspruch der Exzellenz hat man auch in der Volksmusik und wohl auch in allen anderen Kulturbereichen, in denen man sich ausbildet und professionell wird. Für mich gibt es professionelle Kulturschaffende und nicht-professionelle Kulturschaffende und alle engagieren sich gemeinsam für das reichhaltige Kulturleben und -angebot, welches wir in der Schweiz haben. Dazu gehören für mich sowohl das professionelle Ballett an der Oper wie auch das Schwyzerörgeliquartett, welches am Samstagnachmittag in der Dorfbeiz spielt. Das muss alles Platz haben. Die Hochschulen bilden halt eher die Menschen aus, die im professionellen Ballett tanzen werden, und weniger die Musiker*innen des Schwyzerörgeliquartetts. Den Begriff Hochkultur habe ich übrigens in der Deutschschweiz entdeckt: In der Westschweiz, wo ich aufgewachsen bin, spricht man nur von culture und allenfalls noch von culture populaire. Beim Begriff Hochkultur frage ich mich immer, ob diese Kultur hoch ist, weil man sie gar nicht erreichen kann, weil sie zu intellektuell ist und man sie deshalb nicht versteht? Das ist sehr schade. Ich kenne leider genügend Leute, die nie in die Oper gehen, weil sie finden, dass sie das sowieso nicht verstehen.
SK: Ich halte es für einen selbstgerechten Mythos, dass die Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur sich verwässern. Ich glaube, die Grenzen erodieren vor allem aus der Perspektive der hochkulturellen Akteur*innen, weil sie auch an Populärkultur interessiert sind. Aber weil einer, der an irgendeiner Hochschule doziert, in der Freizeit Eminem hört, wird die Grenze nicht wirklich durchlässig. Vom Rap sagt man, er sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und man interessiert sich auch im Feuilleton dafür. Aber die Integration ist nicht vorbehaltlos: Der Rapper muss immer eine Ausnahme von Rap sein, um Aufmerksamkeit zu verdienen. Und ganz ehrlich: Wenn man in einem hochkapitalistischen Land denkt, eine Kunsthochschule sei nicht elitär, ist man nahezu geistig umnachtet. Wenn du dich – ich mache ein klischiertes Bild – als Secondo aus den untersten Schichten an die Uni hochgearbeitet hast, dann wirst du etwas studieren, was dir ein finanzielles Auskommen sichert. So viel Selbsteinsicht muss man an einer Kunsthochschule haben. Klassendiversität lässt sich nicht einfach «fördern», schon gar nicht am Ende des Bildungswegs.
MS: Menschen aus sozial benachteiligten Familien haben gemäss Statistiken eh schon einen schwierigen Zugang zur Kultur und zum Kulturleben an sich. Sie gehen weniger ins Theater, sie gehen weniger ins Museum, sogar in der Laienkultur sieht man den Unterschied. Daher ist es leider nicht erstaunlich, dass sie auch zur Kunstausbildung einen schwierigeren Zugang haben.
Wir haben festgestellt, dass die Kunstausbildung zwischen professioneller und Hobbykultur Differenzen schafft. Wie verhält sich denn die Kulturförderung in Sachen Laienkulturförderung? Soll die Kulturförderung auch Laienkultur berücksichtigen?
MS: Unbedingt, dafür setzt sich der Bund sehr stark ein. Der Zugang zur Kultur ist ein Grundrecht. Jeder Mensch hat das Recht, gemäss seinen eigenen Vorstellungen am Kulturleben teilzuhaben. Die Rolle des Staates ist es, die Rahmenbedingungen sicherzustellen, damit jede*r – auch ein Mensch im Rollstuhl, eine Seniorin oder ein 10-jähriges Kind – die Möglichkeit hat, ins Museum zu gehen oder selber ein Instrument zu spielen. Das Bundesamt für Kultur unterstützt Teilhabeprojekte, die den Zugang zur Kultur und die Mitbestimmung des Kulturlebens fördern. Wir unterstützen auch nationale Dachverbände im Bereich der Laienkultur wie den Eidgenössischen Jodlerverband oder den Schweizer Blasmusikverband. Auch von den Kantonen und Gemeinden wird die Laienkultur unterstützt, dort gibt es aber grosse Unterschiede, insbesondere zwischen städtischen und ländlichen Regionen.
Laienkultur: eine kulturpolitische Forderung?
MS: Ja. Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik und die Gesellschaft besteht aus einer Vielfalt von Menschen, die am Kulturleben teilhaben. Das professionelle Kulturschaffen ist ein Teil dieses reichhaltigen Kulturlebens.
Könnte ein Effekt sein, dass es zu einer Professionalisierung der Laienkultur führt, wenn man Laienkultur fördert?
MS: Auch die «Laienkultur» professionalisiert sich, das sehen wir durch unsere Förderung sehr direkt. Verbände stärken ihren Nachwuchs und die Qualität ihrer Tätigkeiten, indem sie für ihre Mitglieder vermehrt auch Aus- und Weiterbildungen anbieten. Der Schweizer Blasmusikverband zum Beispiel bietet eine Ausbildung für Dirigent*innen an: Somit wird sichergestellt, dass diese wichtige Aufgabe in den Musikvereinen mit der entsprechenden Qualität umgesetzt wird. Auch hier sehen wir wieder Durchlässigkeit zwischen Hobby und Beruf. Wenn der Staat nur den professionellen Teil des Kulturlebens fördert, lässt er einen wichtigen Aspekt des gesellschaftlichen Zusammenhalts aus. Das haben wir alle während der Pandemie erlebt: In einer Gesellschaft ohne Kultur ist der Zusammenhalt schwieriger.
SK: Wenn eine junge Musikerin einen Kulturbeitrag erhält, stützt man da Laienkultur oder fördert man den Weg zur professionellen Kultur?
MS: Es ist tatsächlich fliessend. Das Bundesamt für Kultur fördert auch Projekte zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes. Damit gemeint sind lebendige Traditionen wie die Basler Fasnacht oder die Fête des Vignerons, an denen sehr viele Laien teilnehmen. Ich würde sogar behaupten, ohne das Engagement der Laien gäbe es diese Traditionen nicht mehr. Deshalb müssen auch die nicht-professionellen Kulturschaffenden gefördert werden, um diese Vielfalt des Kulturlebens zu erhalten.
GF: Laienkultur zu fördern, ist auch deshalb wichtig, weil die Kultur so an andere Schichten herangetragen wird. Der Zugang zur Fasnacht ist einfacher als jener ins Opernhaus.
Die Fasnacht als Einstiegsdroge fürs Opernhaus.
SK: Bei mir hat es nicht geklappt.
Zum Schluss noch diese Frage: Wisst ihr, woher der Begriff Hobby kommt?
MS: Nein.
SK: Nein.
GF: Es kommt bestimmt aus dem Englischen: hobby horse, Steckenpferd. Wenn man etwas gut kann, sagt man ja auch «mein Steckenpferd».
Ich musste das auch googeln. Es kommt tatsächlich von hobby horse, dem Steckenpferd. Das Steckenpferd, welches seinen Reiter nirgendwohin trägt. Es hat keine Richtung und geht nirgendwohin, es hat keine existenzielle Bedeutung, es muss nichts erfüllen.
GF: Das gefällt mir.
Es bleibt an seinem Ort stehen. Ein Steckenpferd ist nur eine Stange mit einem Kopf, an der man sich hält.
SK: Und man reitet selber, man muss selber rennen. Das ist schön.