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N°3/2024
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Schaufenster – Finding our Feet: Die Sommerakademie Paul Klee (SPK) lädt seit bald zwanzig Jahren internationale Kunstschaffende im August nach Bern ein: Neben internen Workshops und öffentlichen Anlässen bietet die Residency den Teilnehmenden zudem die Möglichkeit, Werkstätten der HKB zu nutzen und erarbeitete Inhalte an Studierende der HKB weiterzugeben. Hans Rudolf Reust, ehemaliger Co-Studiengangsleiter des BA Fine Arts und ehemaliges Vorstandsmitglied der SPK, sprach im Frühjahr 2024 mit der Kulturschaffenden Andrea Thal über ihre Arbeit als Kuratorin der SPK 2023/2024.

Welcome back, Andrea, hier in Bern. Ich weiss, es ist nicht Nostalgie, was dich wieder hierherführt, sondern die Sommerakademie Paul Klee.
Ich bin in Bern aufgewachsen und früh von hier weg­gegangen. Zwischenzeitlich habe ich auch bei den Fine Arts der HKB unterrichtet. Die letzten neun Jahre war ich künstlerische Leiterin am Contemporary Image Collective – CIC in Kairo, wo ich auch lebe. Deshalb fühlt es sich tatsächlich an wie ein Zurückkommen.

Kulturschock?
(lachend) Ich habe mich sehr gefreut, als ich im Herbst 2022 angefragt wurde, mich mit einem Konzept für die kuratorische Leitung des 2023/2024-Zyklus zu bewerben. Das Format der Sommerakademie hat mich sehr angesprochen, weil mit einer kleinen Gruppe von Residents sehr frei zusammengearbeitet werden kann. Wir haben jetzt acht Residents im Programm und können über zwei Jahre hinweg an einem Thema dranbleiben. Wir sind nicht immer zusammen, in Präsenz eigentlich sehr wenig: acht Tage im letzten August und nun wieder acht Tage im August 2024. Aber wir haben schon vor dem ersten Treffen in Bern angefangen, uns online zu begegnen. Als wir einander dann zum ersten Mal gesehen haben, kannten wir uns schon ein bisschen von den virtuellen Treffen. Das hat sich als sehr positiv erwiesen, durch die Auswahl der Personen und die Art, wie wir uns kennengelernt haben, war schon am ersten Tag eine Verbindung da.

Verstehe ich richtig, dass du nicht einfach eine inhaltliche Ausrichtung vorgegeben hast?
Ich bin ähnlich vorgegangen, wie ich oft arbeite. Wenn wir in Kairo an einem Thema arbeiten, versuchen wir gemeinsam, eine Setzung zu machen, die aber noch sehr offen ist und davon ausgeht, dass die Beteiligten sich einbringen und den gemeinsamen Prozess mit zusätzlichen Inhalten füllen. Ich habe im Call für die Sommerakademie eine thematische Auseinandersetzung definiert und den Titel Finding our Feet gewählt. Die Ausschreibung ist aus meiner Erfahrung in Ägypten entstanden, durch die Arbeit aus und in der Krise und die Instabilität, die für mich in den letzten neun Jahren zum Alltag wurden. Politische, soziale, ökonomische, aber auch persönliche Ereignisse werden dabei Teil der Arbeit. Ich habe schon beim Kunstraum Les Complices* in Zürich so gearbeitet, aber in Ägypten hat das eine ganz andere Brisanz. Repression ist ein Thema und auch die ökonomische Situation können wir uns im schweizerischen Kontext nur schwer vorstellen. Letztes Jahr hatten wir erneut eine grosse Finanzkrise, in der das ägyptische Pfund die Hälfte an Wert verlor. Dann sind da auch die Auswirkungen der Kriege in der Region. Seit dem Ausbruch des Krieges im Sudan sind zum Beispiel viele Menschen, darunter auch viele Kulturschaffende, aus Khartoum nach Kairo geflohen. Seit über einem Jahr widmen wir einen grossen Teil unseres Programms in Kairo der Zusammenarbeit mit Kulturschaffenden, die aus Khartoum gekommen sind. All diese Dinge haben die Personen, mit denen ich arbeite. Ereignisse in den Familien, im persönlichen Leben von Menschen werden so dringlich, dass sie Teil des Arbeitsalltags werden. All diese Fragen sind im vergangenen Jahr noch viel dringlicher geworden.

Du schilderst das sehr eindrucksvoll: Kunst findet nicht in einem zwanglosen und echolosen Raum statt. Das Prekariat bestimmt schliesslich auch die Zeit, die für verschiedene Dinge zur Verfügung steht.
Mir war immer klar, dass sich das persönliche Leben und die künstlerische Praxis nicht trennen lassen. In den neun Jahren in Kairo wurde alles auf eine ganz andere Weise körperlich, es geht also viel näher und wird dringlicher und natürlich auch prekärer. Wir kennen den Begriff embodiment, Verkörperung: Das Erlebte sinkt anders in den Körper ein. Was bedeutet die Erfahrung einer so starken Devaluation der Währung in deinem Alltag? Welches Essen, welche Transportmittel können sich die Menschen noch leisten? Was bedeutet es, wenn ein Familienmitglied einen Verkehrsunfall hat und es keine Krankenversicherung gibt? Wie können wir in diesen Situationen in einer Organisation arbeiten? Welche anderen Formen des Zusammenarbeitens braucht es? An eine Organisation sind andere und ständig neue Anforderungen gestellt und das manifestiert sich auch in körperlichen und psychischen Zustände.Finding our Feet fragt: Wo stehen wir? Das hat mit den Wurzeln unserer Praxis zu tun, aber auch mit der Frage, wie wir uns situieren und von wo aus wir agieren. Wie können wir auf dem Grund, auf dem wir stehen, ein bisschen Stabilität gewinnen? Wie können wir gemeinsam versuchen, mit den unterschiedlichen Auswirkungen der Krisen umzugehen? In solchen Situationen fragen wir automatisch, wie es uns geht und wie wir aufeinander achtgeben. Welche Methodologien sind hilfreich, wenn wir in Workshops oder anderen Formaten einen gemeinsamen, offenen und sorgfältigen Raum schaffen möchten? Wie können wir lernen, mit den physischen und psychischen Auswirkungen von Krisen wenn nicht besser, dann doch ein bisschen geerdeter und sanfter umzugehen und uns gegenseitig zu unterstützen? Wie können wir uns selbst und den Gruppen, mit denen wir arbeiten, Sorge tragen, sodass es weniger zu intensiven Erfahrungen von Verausgabung kommt?Ich denke, diese Fragen sind auch in der Schweiz relevant. Zwei Personen der Sommerakademie leben ja hier. Im vergangenen August hatten wir zwei Workshops mit Care, einem*einer somatischen Praktiker*in, gemacht. Darin ging es um das Lernen von Techniken, die hilfreich sein können, um besser zu verstehen, wie unsere Körper Erlebtes erinnern und verarbeiten.

Ein wichtiges Argument, die Sommerakademie Paul Klee an die HKB zu binden, war die Nähe zu ganz jungen Künstler*innen, die dabei sind, ihre eigene Form der künstlerischen Arbeit und ihr eigenes Rollenverständnis untereinander zu finden.
Die Residents unterrichten zwei Workshops an der HKB, dadurch gibt es auch die Möglichkeit, einen engeren Austausch mit Studierenden zu entwickeln. Im vergangenen August hat uns interessiert, wie sich Gruppen organisieren. So haben wir eine Person aus dem Kollektiv RaAupe getroffen, einer Gruppe, die eine gemeinsame Ökonomie betreibt, also ihr Einkommen teilt, aber auch versucht, die eigene Zeit in unterschiedliche Formen wie Lohnarbeit, Arbeit für die Gemeinschaft oder Care-Arbeit aufzuteilen. Oder die Advokatur 4A, die eine gemeinsame Ökonomie hat und uns mit ihrer kollektiven Positionierung inspiriert. Neben den Workshops an der HKB und den öffentlichen Veranstaltungen, die wir in diesem Sommer planen, sind auch weitere Treffen mit Kollektiven und Gruppen Teil unseres Treffens in Bern. Schliesslich trägt die Aare viel Gutes bei. Die acht Tage im Jahr 2023 waren sehr heiss und wir haben fast jede freie Minute draussen am Fluss verbracht.