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N°3/2024
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«Manchmal muss ich Distanz zur Arbeit schaffen.»

In Lola Arias’ Arbeit kommen Kriegsveteran*innen, Sexarbeiter*innen, geflüchtete Menschen und viele weitere Schicksale zusammen. Die argentinische Theater- und Filmregisseurin verblendet in ihren Werken die Linie zwischen Realität und Fiktion auf eine Art und Weise, die diese Schicksale für das Publikum erfahrbar macht. Das gelingt ihr so gut, dass sie hierfür den diesjährigen Ibsen-Preis gewonnen hat. Und als Dozentin im Master Expanded Theater sind ihr Themen wie Stress, Druck und Burn-out dauerpräsent.

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studiert an der HKB Master Multimedia Communication & Publishing und ist neu Mitglied der Redaktion der HKB-Zeitung.

Guten Tag, Frau Arias, die eigene Gesundheit ist ein allumfassendes Thema, das gleichzeitig politisch sowie persönlich ist. Wie stellen Sie gesundheitliche Themen in Ihrer Arbeit dar?
Ja, als Theater- und Kino-Dokumentarfilmregisseurin sehe ich es als meine Aufgabe, nicht nur ein interessantes und relevantes Theaterstück zu schaffen, sondern auch den Darsteller*innen die Möglichkeit zu geben, sich auszudrücken. Ich arbeite mit Menschen, die teilweise sehr traumatische Erfahrungen wie Krieg oder lange Haftstrafen erlebt haben. Sie sind Überlebende, was ihre psychische Gesundheit oft beeinflusst. Sie sollen aus der künstlerischen Praxis etwas gewinnen, das sie stärkt und ihnen neue Perspektiven für ihr eigenes Leben eröffnet. Meine Erfahrung nach über 15 Jahren zeigt, dass die Stücke ein neues Selbstbewusstsein in den Menschen schaffen und damit Abstand zu traumatischen Erfahrungen ermöglichen. Ein konkretes Beispiel solcher Projekte sind Minefield und Theater of War. In diesen Projekten habe ich mit Kriegsveteran*innen aus dem Malvinas/Falkland-Krieg gearbeitet. Diese Menschen, die früher Feinde waren, kamen 30 Jahre später zusammen, um ihre Erinnerungen zu rekonstruieren. Das schuf eine Gemeinschaft, die ihnen half, das Leiden des anderen zu verstehen und ihr eigenes Trauma zu überwinden. Sie wurden zu einer Familie, die sich gegenseitig unterstützt. So etwas mitzuerleben, ist einzigartig.

Das ist faszinierend. In Ihrem letzten Projekt REAS haben Sie mit Menschen gearbeitet, die im Gefängnis waren, Cis-Frauen und Transmenschen. Wie hat dieses Projekt die Akteur*innen beeinflusst?
Dieses Projekt war ebenfalls eine Herausforderung. Der Prozess, diese Erinnerungen aus dem Gefängnis wieder aufzugreifen, war für die Schauspieler*innen hart. Aber die Möglichkeit, es gemeinsam zu tun und sich auf Solidarität und Liebesbeziehungen zu konzentrieren, half ihnen, sich ihrer Stärke bewusst zu werden. Statt durch Darstellungen, die sie nur als Opfer oder Täter *in von Gewalt zeigen, erneut stigmatisiert zu werden, konnten sie ihre Resilienz und ihre Solidarität ausdrücken. Bei diesem Prozess dabei zu sein, war sehr lohnend.

Wie aktiv berücksichtigen Sie den gesundheitlichen Aspekt der Akteur*innen, insbesondere die psychische Gesundheit, während Sie ein Projekt umsetzen?
Während des Schreibens über diese Projekte gibt es viel Austausch. Menschen kommen zusammen und teilen ihre Erfahrungen, und dann entscheiden wir, wie wir diese Erfahrungen darstellen. Der Akt des Teilens und Rekonstruierens ist sehr hilfreich, weil die Menschen Distanz zu ihren Erfahrungen gewinnen, indem sie sie nachspielen. Sie beherrschen die Situation und werden nicht erneut traumatisiert, sondern verstehen, was sie erlebt haben.Zudem arbeite ich immer mit einem interdisziplinären Team. Bei REAS hatte ich zum Beispiel eine Sozialarbeiterin, einen Psychiater und einen Anwalt dabei. Diese interdisziplinäre Arbeit sorgt dafür, dass die Teilnehmer*innen nicht nur von der künstlerischen Praxis, sondern auch von Fachleuten Unterstützung erhalten, die ihnen bei spezifischen Problemen helfen können, welche die Kunst allein nicht lösen kann.

Als Kreative, wie beeinflusst Sie die Arbeit mit solchen Situationen?
Sie beeinflusst mich stark, weil ich eine grosse Verantwortung habe. Mit Nichtprofis zu arbeiten, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, bedeutet, dass ich sie durch diesen künstlerischen Prozess unterstützen muss. Es kann sehr anstrengend sein und erfordert viel Energie. Ich muss auch auf meine eigene mentale und emotionale Gesundheit achten, weil ich mein eigenes Leben und Verantwortungen ausserhalb der Arbeit habe. Manchmal muss ich Distanz zur Arbeit schaffen, um mein eigenes Wohlbefinden zu wahren.

«Distanz zur Arbeit schaffen, um das Wohlbefinden zu wahren.»

Glauben Sie, dass es einfacher oder schwieriger ist, mit eigenen Erfahrungen zu arbeiten, im Vergleich zu etwas, das man nicht selbst erlebt hat?
Mit persönlicher Erfahrung zu arbeiten, kann sehr kraftvoll und therapeutisch sein, erfordert aber auch sorgfältige Anleitung. Ich habe Arbeiten über meine eigene Geschichte gemacht, wie im Stück Melancholy and Demonstrations über die Depression meiner Mutter und meinen eigenen Umgang damit. Diese Art von Arbeit hilft mir wiederum, zu verstehen, welche Probleme bei anderen auftauchen können, die mit ihren persönlichen Geschichten arbeiten. Dazu animiere ich auch meine Studierenden. Es ist inspirierend, zu sehen, wie sie ihre eigenen Erfahrungen in ihre Arbeit einbringen und sich gegenseitig unterstützen. Einen sicheren Raum zu schaffen, in dem sie Dinge teilen können, die sie normalerweise nicht in einer Unterrichtsumgebung teilen würden, ist entscheidend.

Wie wichtig ist es für Künstler*innen, auf ihre eigene psychische Gesundheit zu achten, angesichts des Drucks des Kunstmarktes?
Es ist unglaublich wichtig. Die Anforderungen, denen wir heute ausgesetzt sind, können jede*n an den Rand des Burn-outs treiben. Für junge Künstler*innen ist es essenziell, zu lernen, wie sie Grenzen setzen und auf sich selbst achten können, während sie ihrer Leidenschaft nachgehen. Der Druck, sich selbst und seine Arbeit zu verkaufen, kann intensiv sein, aber es ist entscheidend, ein Gleichgewicht zu finden. Kollektive Unterstützung und das Verständnis der eigenen Grenzen sind dabei entscheidend.

«In der Arbeit kann ein kollektiver Ansatz helfen.»

Wenn Sie an Ihre Schüler*innenschaft denken, wie können junge Künstler*innen das Gleichgewicht finden, das zu tun, was sie lieben, und gleichzeitig einen Burn-out vermeiden?
Burn-out ist eine weitverbreitete Erscheinung, nicht nur bei Studierenden, sondern bei allen. Die Anforderungen und der ständige Input sind beträchtlich. Für junge Menschen ist es besonders schwierig, Grenzen zu setzen und zu verstehen, was sie realistischerweise erreichen können, ohne sich zu überfordern. Ich bin der Meinung, dass ein kollektiver Ansatz helfen kann. Zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen, kann diesen Druck mindern. Ich habe bemerkt, dass jüngere Generationen manchmal Schwierigkeiten haben, als zusammenhängende Gruppe zu arbeiten. Sie haben einzeln grossartige Ideen, aber tun sich schwer damit, zu kooperieren, und kämpfen so auch in der Gruppe für ihre Ideen, auf eine respektvolle Art und Weise natürlich.