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N°1/2021
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Isamal Zorrilla

Isamal Zorrilla (27) kam vor dreieinhalb Jahren in die Schweiz und lernte blitzschnell Deutsch. Zurzeit absolviert sie ihre Masterarbeit an der HKB im Bereich Design. Ihr Ziel: psychisch Kranken helfen. 

«Ich bin am Treffpunkt. Ich habe pinkfarbene Haare.» Das schreibt Isamal Zorrilla, damit wir uns erkennen. Das Treffen soll corona-bedingt im Bahnhof stattfinden. Zorrilla, deren Muttersprache Spanisch ist, spricht nebst Englisch und Französisch fliessend Deutsch, obwohl sie erst seit dreieinhalb Jahren in der Schweiz lebt. Der Liebe wegen ist sie aus ihrer Heimat, der Dominikanischen Republik, nach Baggwil, ein kleines Dorf in der Gemeinde Seedorf im Kanton Bern, gezogen. Ein Kulturschock? «Ja, klar», sagt sie lachend. «Aber mittlerweile kenne ich alle und alle kennen mich. Ich bin supergut integriert.» Und Zorrilla hat nicht nur Freundschaften in ihrem Dorf geknüpft, sondern auch an der Hochschule der Künste in Bern, wo sie studiert. «Ich kann sehr selbstständig arbeiten und werde gehört», schwärmt sie. Die einstige Publizistikstudentin macht gerade ihren Master im Bereich Design. Ihre Mentorin ist die Pflegewissenschaftlerin Sabine Hahn. Zorrilla geht der Frage nach, wie Design psychisch kranke Menschen beeinflusst. Die Studierende ist überzeugt, dass unser Umfeld stärker auf uns einwirkt, als uns bewusst ist. «Wir sind in ständiger Interaktion mit Codes», sagt sie und verweist darauf, wie gut die Bank, auf der wir sitzen, zum Gesamtkontext des Bahnhofs passt. Wenn man den Kontext wechsle, verändere man sich unweigerlich auch als Person. «Wir reagieren auf unsere Umgebung. Als Migrantin weiss ich, wovon ich spreche.» Dass sie sich in ihrer Forschung mit dem Nutzen von Design für psychisch Kranke beschäftigt, hat einen persönlichen Hintergrund. «Meine Mutter ist ein Messie», so Zorrilla. Sie habe Unmengen von Dingen gehortet, darunter viel Unnötiges wie beispielsweise alte Taschen. «Es ist eine Sucht, die auch die Familie belastet hat.» Doch wie kann Design dabei helfen, Ordnung ins Chaos zu bringen, oder eingesetzt werden, um Stressfaktoren zu beseitigen? Zorrilla hat sich unter anderem mit dem medizinischen Ansatz des israelisch-amerikanischen Soziologen Aaron Antonovsky (1923–1994) auseinandergesetzt. Bei seinem Salutogenese-Modell wird Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess verstanden, wobei Risiko- und Schutzfaktoren in einer Wechselwirkung zueinander stehen. «Wer gesund sein will, muss Kohärenz finden», so Zorrilla. Dabei könne Design unterstützend wirken.  

Was würden Sie ändern?
Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat Zorrilla ein Kartenspiel entworfen. Auf jeder Karte ist die Illustration eines Raumes zu sehen. Es gibt verschiedene Lichtverhältnisse, saubere und unordentliche Räume, solche mit Pflanzen und Haustieren und solche ohne. Um ihr Kartenset zu testen, arbeitet Zorrilla mit ambulanten Pflegefachleuten zusammen, welche die Karten nutzen, um mit ihren Patient*innen in Interaktion zu treten. Wie fühlen Sie sich heute? Was würden Sie diesem Raum hinzufügen, was würden Sie entfernen? Welche Geschichte könnte hier passiert sein? Über solche Fragen kommen die Pflegefachleute zu neuen Erkenntnissen. Zorrilla bekommt präzise Rückmeldungen von ihren Testpersonen, fünf Patient*innen, die im Hôpital psychiatrique in Cery bei Lausanne stationiert sind. Will jemand zum Beispiel in einer ihrer Illustrationen die Lichtverhältnisse verändern, gestaltet sie eine neue Karte mit mehr Licht. «Es geht darum, gemeinsam Verbesserungsvorschläge zu finden, gemeinsam einen Weg Richtung Gesundheit zu gehen.»  

Was macht Corona mit uns?
«Es ist mir wichtig, Patient*innen in den Designprozess zu integrieren, ihnen eine Stimme zu geben», so Zorrilla. Unabhängig davon, ob jemand depressiv oder schizophren sei, stehe an erster Stelle der Mensch und nicht seine Krankheit. Wer als krank und wer als gesund gelte, sei oft auch eine Definitionsfrage. Vorurteile könnten Krankheiten verstärken. Die Pflegefachleute, mit denen sie zusammenarbeite, seien sehr offen gegenüber Experimenten. «Es ist mir wichtig, dass sie sich auf ihre eigenen Erfahrungen und ihr Bauchgefühl verlassen, wenn sie mein Kartenspiel nutzen.» Unser Umfeld sei wie ein Spiegel, sagt Zorrilla. Wenn wir beispielsweise Aussicht auf die Natur hätten, dann mache das etwas mit unserem Gehirn. Die aktuelle, durch die Pandemie bedingte Situation, sei für viele Menschen ungünstig. «Normalerweise haben wir einen Ort zum Schlafen, einen Ort zum Essen und einen Ort zum Arbeiten.» Diese Standortwechsel seien wichtig und fielen nun durch das vielerorts auferlegte Homeoffice weg. Sie selbst jobbt bei McDonald’s im Bahnhof Bern, um ihr Studium zu finanzieren und um noch besser Deutsch zu lernen. Es sei ärgerlich, wenn man mit ihr Englisch spreche, nur weil sie dunkelhäutig sei. Doch sie sei dankbar für diesen Job, bei dem sie mit vielen Leuten in Kontakt gekommen sei und auch Mundart gelernt habe. «Mittlerweile verstehe ich sogar die Walliser*innen.»